Wenige Stoffe sind so umstritten wie das Pflanzenschutzmittel Glyphosat. Über die gesundheitlichen Auswirkungen des als "Roundup" verkauften Herbizids gibt es hunderte Studien, deren Aussagen sich teils widersprechen. Nun könnte ein neuer Aspekt in die Diskussion kommen. Ein Forschungsteam um Michael Skinner von der Washington State University hat mehrere Erkrankungen bei den Nachkommen von Ratten gefunden, die Glyphosat ausgesetzt gewesen waren. Dafür machen die Forscher die Vererbung bestimmter Veränderungen am Erbgut verantwortlich, wie sie im Fachblatt "Scientific Reports" schreiben.
Mehr Krankheiten bei der zweiten und dritten Generation
Skinner und seine Kollegen spritzten trächtigen Ratten zwischen dem achten und 14. Tag der Trächtigkeit täglich Glyphosat in den Bauchraum. Gleichzeitig ließen sie eine Kontrollgruppe von Ratten heranwachsen, die nicht in Kontakt mit Glyphosat kamen. Nach jeweils einem Jahr wurden die Ratten getötet und auf Krankheiten sowie Erbgutveränderungen untersucht.
Als die Wissenschaftler die Ratten untersuchten, stellten sie weder bei den direkt exponierten Nagern selbst noch bei ihrem Nachwuchs gesundheitliche Schäden fest. Diese Ergebnisse stimmen mit denen vieler Forscher und auch dem offiziellen Standpunkt verschiedener Behörden überein, dass Glyphosat keine oder nur geringe direkte toxische Effekte zeigt. Bei den Folgegenerationen (genannt F2 und F3) jedoch zeigte sich ein anderes Bild.
Die Wissenschaftler berichten von einem "dramatischen Anstieg einiger Krankheitsbilder in der zweiten und dritten Generation", also bei Enkeln und Urenkeln der Tiere, denen Glyphosat gespritzt worden war. Demnach kam es in der zweiten Generation zu einem Anstieg von Erkrankungen der Hoden, der Eierstöcke und der Brustdrüse sowie zu Fettleibigkeit.
Die dritte Ratten-Generation litt signifikant häufiger als die Kontrollgruppe an krankhaften Veränderungen der Prostata und der Niere. Außerdem kam es bei mehr als jeder dritten trächtigen Ratte der zweiten Generation zu einem gestörten Geburtsverlauf, an dem die meisten Tiere starben.
DNA-Muster werden vererbt
Skinner nennt dieses Phänomen "generational toxicology". In früheren Arbeiten hatte er den Mechanismus bereits mit anderen Substanzen in Verbindung gebracht, etwa mit Fungiziden, dem Insektizid Permethrin oder dem in manchen Kunststoffen enthaltenen Bisphenol A. Demnach kann eine Belastung mit einem Umweltgift bei den Nachfahren des exponierten Lebewesens Krankheiten verursachen, ohne dass diese selbst mit dem Stoff in Verbindung gekommen sein müssen.
Dafür verantwortlich machen die Forscher Veränderungen an Teilen des Erbguts, die bestimmte Genabschnitte in ihrer Aktivität verändern, sie gleichsam an- oder abschalten können. Der Mechanismus existiert auch beim Menschen. Es handelt sich bei diesen epigenetischen Modifikationen nicht um Veränderungen der DNA-Sequenz selbst, sondern um molekulare Prozesse um diese herum. Am bekanntesten ist das Anhängen sogenannter Methylgruppen – die Methylierung der DNA.
Diese Methylierungsmuster sind meist umweltbedingt und können auf die Folgegenerationen übertragen werden. Finden sich die Methylierungen im Bereich von Genen, die bei bestimmten Krankheiten eine Rolle spielen, können sie einen Einfluss darauf haben, ob jemand erkrankt oder nicht.
Bisher kaum Forschung zu den Folgegenerationen
Als die Washingtoner Wissenschaftler das Erbgut der Ratten auf solche epigenetischen Veränderungen hin untersuchten, fanden sich einige solcher Methylierungen in der Nähe von Genen, die in früheren Studien mit Erkrankungen in Verbindung gebracht wurden. Die Forscher schließen daraus, dass diese Veränderungen durch Glyphosat verursacht und über Spermien und Eizellen an die Nachkommen vererbt werden können. Diese könnten dann erkranken, ohne selbst jemals Glyphosat ausgesetzt gewesen zu sein.
Bisher fokussierten sich wissenschaftliche Untersuchungen vor allem darauf, welche direkten Schäden Glyphosat auslösen kann. Nur wenige Forscher widmeten sich Effekten, die erst in den Folgegenerationen zum Tragen kommen. Angesichts seiner Ergebnisse fordert Skinner, diesen neuen Aspekt in die Risikobewertung von Glyphosat einzubeziehen. In der Studie heißt es: "Die Fähigkeit von Glyphosat und anderen Umweltgiften, künftige Generationen zu beeinflussen, muss berücksichtigt werden." Das sei "potenziell genauso wichtig wie die heute verwendeten direkten Expositionsmethoden zur Risikobewertung".
"Fehlende Fallzahlen, an der Realität vorbei"
In der Studie klingt es, als wären sich die Forscher ihrer Sache sehr sicher. Mit Einschränkungen und Konjunktiven halten sie sich nicht groß auf. Dabei seien die Schlussfolgerungen von Skinner und Kollegen mehr als zweifelhaft, sagte Jörn Walter, Genetiker an der Universität des Saarlandes und Leiter der Arbeitsgruppe Epigenetik, dem Tagesspiegel. "Ich bin sehr skeptisch, dass man aus der vorliegenden Arbeit Rückschlüsse auf die epigenetische Vererbbarkeit ziehen kann", so Walter. Die Studie nutze methodisch veraltete Ansätze und sei in weiten Teilen schlecht durchgeführt oder zumindest schlecht dokumentiert. "Es fehlen Fallzahlen, die Statistik ist ungenügend erklärt."
So vermisse Walter auch eine Erklärung für den Zusammenhang zwischen den epigenetischen Veränderungen und den gefundenen Erkrankungen, die überdies nicht ausreichend detailliert beschrieben seien. Zudem handle es sich bei Spritzen unter die Bauchdecke um eine extreme Art der Behandlung, die weit an der Realität vorbeigehe. Nicht zuletzt deshalb verböten sich auch Rückschlüsse auf den Menschen.
Was die Dosis des verabreichten Glyphosats betrifft, so wählten die Forscher die Hälfte derjenigen Dosis, bis zu der keine beobachtbaren nachteiligen Effekte beim Menschen zu erwarten sind. Sie liegt aber nach Angabe der Forscher mit 25 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht deutlich über den in der Industrie erlaubten Dosen von 2,5 bis 4,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht.
Forschung durchaus lohnenswert
Glyphosat ist das weltweit am weitesten verbreitete Herbizid. Nach der Übernahme von Monsanto wird es von der Firma Bayer produziert. In Deutschland hatte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Zulassung im März 2019 bis zum Jahresende verlängert. Dabei hatte die Bundesregierung angekündigt, künftig auf das umstrittene Herbizid verzichten zu wollen.
Neben den negativen Auswirkungen auf die Artenvielfalt ist vor allem eine möglicherweise krebserregende Wirkung von Glyphosat im Gespräch. Als verantwortliche Behörde hatte das Bundesinstitut für Risikobewertung mehr als 1000 Studien zum Thema ausgewertet und war nach erneuter Prüfung zu dem Schluss gekommen, Glyphosat sei "wahrscheinlich nicht krebserregend". Auch einem Bericht der Pestizidexpertengruppe der Weltgesundheitsorganisation zufolge hat Glyphosat eine sehr geringe akute Giftigkeit.
Bundesinstitut für Risikobewertung Krebs durch Glyphosat „unwahrscheinlich“
Im Gegensatz zu den akuten Wirkungen haben vererbbare gesundheitliche Effekte, wie sie in der aktuellen Washingtoner Studie postuliert werden, bei der bisherigen Bewertung des Herbizids eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Der Genetiker Jörn Walter betont aber, dass es durchaus lohnenswert sein könne, sich mit ihnen zu beschäftigen – allerdings anders, als bei der Arbeit von Skinner und seinen Kollegen geschehen. "Da es sich um wirklich komplexe Studien handelt, braucht es einen methodisch ausgereifteren Ansatz, ansonsten gießt man nur weiter Öl ins Feuer der Diskussion um Glyphosat."
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