Zu wenig Nachtruhe kann auf Dauer Übergewicht begünstigen. Der Verhaltensneurobiologe Manfred Hallschmid erklärt, welche Mechanismen dabei eine Rolle spielen. Heinrich Heine bezeichnete den Schlaf einst als die "köstlichste ErGndung". Allerdings fragte er sich wohl kaum, ob manch einer bei Schlafmangel auf andere "Köstlichkeiten" zurückgreift. Viele glauben jedoch, genau dieses Verhalten an sich selbst zu beobachten: Sie schlafen wenig, und am Tag danach überkommen sie dann Heißhungerattacken. Existiert dieses Phänomen wirklich?
Tatsächlich haben Wissenschaftler intensiv erforscht, inwiefern verkürzte Schlafzeiten Übergewicht begünstigen – etwa durch einen größeren Appetit. Die ersten Hinweise darauf, dass Schlaf neben der geistigen und körperlichen Fitness auch das Körpergewicht beeinfusst, lieferten epidemiologische Studien. Viele davon kommen zu dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Schlafdauer in den industrialisierten Ländern seit Mitte des 20. Jahrhunderts um ein bis zwei Stunden abgenommen hat. Gleichzeitig beobachteten die Forscher eine "Adipositas-Epidemie"; immer mehr Menschen wurden übergewichtig oder sogar krankhaft fettleibig. Für diese beiden Trends fanden Statistiker einen Zusammenhang, was im Grunde bedeutet: Je weniger man im Durchschnitt schläft, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man zu viel auf die Waage bringt.
Um Ursachen dafür herauszuGnden, führten Karen Spiegel und Eve van Cauter an der University of Chicago zu Beginn des neuen Jahrtausends ein Schlafexperiment durch: Junge, gesunde Probanden durften jeweils zwei Nächte vier beziehungswiese zehn Stunden im Bett verbringen. Nach der kurzen Nachtruhe wiesen die Teilnehmer im Durchschnitt eine um etwa 20 Prozent verringerte Konzentration des Fettzellhormons Leptin im Blut auf; derweil stieg der Anteil des Magenhormons Ghrelin um fast ein Drittel. Während Leptin das Hungergefühl hemmt, wird der Appetit durch Ghrelin gesteigert. Und in der Tat hatten die Probanden nach den kurzen Schlafzeiten deutlich mehr Lust auf kohlenhydratreiche Nahrungsmittel. Das unterschiedliche Verhältnis der beiden Hormone liefert dafür möglicherweise die Erklärung. 2016 fanden Erin Hanlon und ihr Team, ebenfalls von der University of Chicago, einen weiteren potenziellen Auslöser für ein stärkeres Hungergefühl nach Schlafmangel. In ihrer Studie durften Freiwillige jeweils über vier Nächte hinweg einmal ausreichend, ein anderes Mal deutlich weniger schlummern als gewohnt. Nach der Schlafverkürzung zeigten die Teilnehmer eine erhöhte Menge an Endocannabinoiden im Blut – gleichzeitig Gel es ihnen deutlich schwerer, kalorienreichen Snacks zu widerstehen. Die Wissenschaftler sehen hier einen Zusammenhang, da die körpereigenen cannabisähnlichen Botenstoffe als Teil des Belohnungssystems im Gehirn das Verlangen nach Nahrung lenken. Jenseits solcher biochemischen Steuerungsmechanismen entdeckten Sebastian Schmid von der Universität Lübeck und seine Kollegen noch etwas anderes: Als sie den Nachtschlaf gesunder Männer zwei Tage lang auf rund vier Stunden beschränkten, nahm deren körperliche Aktivität anschließend um 13 Prozent ab. Und naturgemäß kann ein reduzierter Energieverbrauch auf Dauer zu einer Gewichtszunahme führen.
Auch wenn man überschüssige Pfunde loswerden will, ist ausreichender Schlaf hilfreich, wie Wissenschaftler um Arlet Nedeltcheva an der University of Chicago herausfanden: Übergewichtige Personen, die an einem zweiwöchigen Abnehmprogramm teilnahmen und sich pro Nacht fünfeinhalb Stunden aufs Ohr legen durften, reduzierten zwar ihr Gewicht, verloren aber nur halb so viel Körperfett, wie wenn sie dieselbe Diät mit einer ausreichenden Schlafdauer kombinierten. Zudem büßten sie im ersten Fall mehr Muskelmasse ein. Noch ist ungelöst, welche Mechanismen die Energiebalance bei denjenigen Menschen aufrechterhalten, die trotz chronischen Schlafmangels kein Hüftgold ansetzen. Das genaue Wechselspiel zwischen Schlummern, Schlemmen und einem möglichen Schreck beim Steigen auf die Waage ist also weiterhin nicht klar.
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